OKT. 2023, AUSGABE 3
Das Erzählen von Geschichten offenbart Sinn, ohne den Fehler zu begehen,
diesen zu definieren
Muntermacher
Die Philosophin lobt hier die Dichter, die Schriftstellerinnen, die in der glücklichen Lage sind, Sinn zu vermitteln, ohne dies aussprechen zu müssen. Damit ersparen wir einander Missverständnisse und eng geführte Debatten.
Im Gegenteil: Durch Geschichten entstehen Räume der Weite, in denen Menschen zueinander finden können, mehr als durch Meinungsumfragen und politische Diskussionen. In unterschiedlichen Epochen kann die Interpretation einer Geschichte zudem aktualisiert werden.
So können wir unsere Werte prüfen: Sind wir sattelfest? Sind unsere Werte auch in Notlagen parat, sind sie auf Extremsituationen geeicht? Denn genau dann kommt es meist darauf an. Wie hätten wir in dieser oder jener Konfliktsituation gehandelt? Niemand kann uns hier eine Antwort geben, wir müssen sie selbst finden. Die Bedeutung von Geschichten geht aber noch viel weiter. Unser Gehirn arbeitet immer mit Geschichten und gliedert jeden Umstand und jede Neuigkeit, denen wir begegnen, in ein Narrativ, eine Erzählung, ein.
Ist etwas gut und nützlich oder gefährlich für uns?
Die Geschichte unseres Lebens, die Geschichte, die wir uns selbst darüber erzählen, sie ordnet die Dinge und lässt uns entsprechend auf Neues reagieren: mit Freude und Zuversicht oder Angst und Misstrauen. Daher ist es wichtig, diese Geschichten zu erforschen. Sind sie noch aktuell? Erzählen wir uns vielleicht selbst etwas, was schon lange nicht mehr angemessen ist?
Auch im Umgang mit anderen sind Geschichten entscheidend. Nur durch sie entsteht eine Brücke. Wer diese bauen möchte, muss als ersten Schritt: zuhören. Es geht eben nicht nur darum, herauszufinden, was jemand glaubt und für richtig hält, sondern warum das so ist. Welche Lebensgeschichte hat den Menschen dorthin gebracht? Erst, wenn wir einander auf diese Weise zuhören, entsteht Verständnis. „Es ist schwer, jemanden nicht zu mögen, sobald wir seine Geschichte kennen“, wusste Fred McFeely Rogers.
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Ausgabe 2022