Kreative Minute 29.09.2023

SEP. 2023, AUSGABE 1

Die kreative Minute:

Aphorismen schreiben

Die Literatur auf dem Markt für Kreatives Schreiben ist umfangreich und beinah schon unübersichtlich geworden. (…) Im Hinblick auf die Gattung des Aphorismus gibt es demgegenüber kaum Anleitungen, allenfalls hier und da mal einen Aufsatz. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass diese Gattung generell im offiziellen Literaturbetrieb vernachlässigt wird, mit anderen Worten „zu kurz kommt“.

Eines der Hauptziele dieses Lehrgangs besteht ganz allgemein in der Förderung der sprachlichen Kreativität. Es geht aber auch ganz konkret um handwerkliche und operationale Lernziele wie: Kennenlernen der Bestimmungsmerkmale des Aphorismus: Was zeichnet einen Aphorismus aus? Und was unterscheidet ihn somit von anderen literarischen Kurzformen? Dazu zählt auch die Kenntnis der grundlegenden sprachlichen Ausdrucksmittel, zum Beispiel rhetorischer Stilfiguren, die vorzugsweise im Aphorismus Anwendung finden.

Gibt es „Muster“ innerhalb der Gattung, die man kennenlernen und nachahmen kann, ehe man sie kreativ abwandelt und , übersteigt‘? Wie kann man sich in dem ,doppelten Blick auf die Sprache‘ üben, d. h. neben ihrer Mitteilungs-und Darstellungsfunktion, ihrer Referenz also, immer auch ihre poetische Funktion und ihren Klangkörper im Blick (und im Ohr!) haben?

Statt in sprachtheoretische Höhen abzuheben, nur zwei Beispiele: „Er las immer ‚Agamemnon‘ statt ‚angenommen‘, so sehr hatte er den Homer gelesen.“ (Georg Christoph Lichtenberg); „Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt.“ (Karl Kraus) Lichtenberg geht vom Klangkörper des Wortes aus, um einen hoffnungslosen Altphilologen zu ironisieren. Kraus belebt eine Redensart, die wir gedankenlos benutzen, neu, oder legt einer verblassten Metapher Rouge auf. Er nimmt also die poetische Funktion der Sprache ernst.

Zum Einstieg eine erste Übung:
Welcher dieser drei Aphorismen gefällt ihnen am besten?
Nennen Sie Gründe dafür!

Überzeugungen sind der Wahrheit gefährlicher als Lügen.
(Friedrich Nietzsche)

Alles wird teurer, nur die Ausreden werden immer billiger.
(Hans-Joachim Rauschenbach)

Jemanden vergessen wollen heißt an ihn denken.
(Jean de la Bruyère)